www.fotohaiku.com
Das Copyright für alle Texte und Fotos
liegt bei Diethelm Kaminski

Diethelm Kaminski

AUS DER GEDICHTSAMMLUNG

„ERPROBUNG DES ERNSTFALLS“


1994 – 1998

SPIEGEL

Wie man hineinschaut
schaut es nicht heraus.

Der bin ich nicht
den kenne ich nicht
der will ich gar nicht sein.

Sei du mein Spiegel,
forme du mein Bild,
wirf du meinen Schatten.

So wie du
es möchtest,
möchte ich sein.
 

KUNSTWERK

Ganz alleine
meine Sache,
wie ich dich sehe
und gestalte.

Du kannst
dich selbst zerstören,
doch mein Bild von dir
rücke ich nicht heraus.

Es wird dich überleben.
 

AUSDEHNUNG

Du machst dich breiter
von Tag zu Tag.
Du sitzt so richtig dick
in meinem Leben.
In jeder Ritze,
in jedem Spalt.
Hörst meine Musik,
steckst deine Nase
in meine Bücher,
liest meine Gedanken,
kennst meine kleinen Geheimnisse.

Nun mach Platz,
damit ich mich
auch in deinem Leben
breit machen kann.
 

NOVEMBER

Wetter: keines
Nur ein feuchtes Bündel,
das auf der Stelle tritt
und sich die Füße
warm klopft.

Nicht Wind, nicht Fleisch.
Kraftlos,
gleichgültig,
amorph.

Hoffentlich
stiehlt er sich bald
bei nacht und Nebel davon.
 

STILLE WASSER

Schöne glatte
langweilige
Wasseroberfläche.

Bis
ein lustig
springender Kisel
sie in Schwingungen
versetzt.

Aufgestört
durch die Berührung,
kann sie
sich lange
nicht beruhigen.
 

SEILSPRINGEN

Zu lascher Schwung,
ein falscher Sprung,
und du verhedderst dich
im Strick.

Kein Rhythmus mehr,
nur Ungeschick,
Gestolper, keine Harmonie.

Frag doch am besten
gar nicht nach dem Wie.
Tu einfach nur,
wie die Natur
dir das Talent
zu allem, was du tust, verlieh.
 

HERR DER KONTINENTE

Ich habe die Welt gesehen.
Jetzt weiß ich, wie sie nicht ist.

Ich springe von Kontinent zu Kontinent,
lasse entstehen und vergehen
und fühle mich als Herr der Welt,
während ich, auf dem Sofa sitzend,
auf dreißig Kanälen
im Trüben fische.

Ich habe die Welt gesehen:
ein Scherbenhaufen.

Mit einem Knopfdruck
lösche ich sie aus.
Sie hat es nicht besser verdient.
 

VOGELFREI

Ladet Katzen ein.
Geht mit euren Luftgewehren
in Anschlag.

Mein Garten soll
vogelfrei sein.

Dass kein Gesang mich
an die Lüge
vom Garten Eden erinnere.
 

NICHT DRAN DENKEN

Wenn wir für ein paar Jahre vergessen,
dass wir beide in festen Händen sind,
dass es gewisse Risiken gibt,
dass sich Heimlichkeiten nicht vermeiden lassen,
dass man so etwas eigentlich nicht tut,
dass sich wieder einige das Maul zereißen,
ja, worauf warten wir eigentlich noch?
 

MAGDALENA
Ramallah März 1997

Das gemeinsame Hochzeitslager
auf der Westbank
entweiht
durch Israels Ehebruch.

Im Steinhagel
der Intifada
nimmt die ungleiche Ehe
ein vorschnelles Ende.

Die Chance der Versöhnung
wird zu Grabe getragen.

Eine Wiederaufstehung gibt es nicht.
 

LEKTION

Bei Ausschachtungsarbeiten
in der City
sind Bauarbeiter
schon wieder auf eine
Fünfzentnerfliegerbombe
gestoßen.
Zünder verrostet,
aber aktiv.
Höchste Gefahr
im Umkreis von 1000 m.

Sprengung
durch Fernzündung
vorbereiten.

Aber diesmal kein Alarm
und keine Evakuierung.

Die Leute sollen
endlich mal kapieren,
dass der 2.Weltkrieg
noch nicht vorüber ist.
 

 
DIE ZEIT

Die Zeit rollt zu Tal,
reißt alles mit sich:
 den Sand der Sekunden,
  das Geröll der Minuten,
   das Buschwerk der Stunden,
    die Bäume der Tage,
     die Felsblöcke der Wochen,
                                   Monate,
                                         Jahre.

                                         Unter allem
                                               begräbt sie
                                                           ein
                                                             viel
                                                               zu
                                                               we
                                                               nig
                                                               ge
                                                               leb
                                                                  t.


DER LETZTE TAG

Ich mache Gymnastik,
brühe mir Kaffee auf,
rasiere mich,
putze mir die Zähne,
höre unkonzentriert
die Nachrichten,
gehe unter die Dusche,
ziehe mch an,
setze mich
mit einer Tasse Milchkaffee
vor den Cmputer
und gebe
mein letztes Gedicht ein.

An alle
die mir etwas bedeuten
und die mich vielleicht
vermissen werden:
Es war nicht übel mit euch,
aber es hätte mehr sein können.
Ihr alle habt immer so gelebt,
wie wenn der letzte Tag
nie kommen würde.

Und jetzt speichere ich ihn ab
Als Microsoft Word Dokument 1
und sichere ihn für die Nachwelt
auf dos-formatierter Diskette.