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LAOS
Anekdoten
Die Brücke

Von der Terrasse meiner Holzhütte aus blickte ich auf einen ungefähr 50 Meter breiten Gebirgsfluss, über den eine schmale Bambusbrücke führte.
Jeden Tag beobachtete ich, wie die Dorfbewohner mit nahezu artistischem Talent flink und geschickt über die Brücke liefen, oftmals schwer bepackt mit Brennholz oder großen Reissäcken. Sogar die kleinen Kinder sah man leichten Fußes über die Brücke flitzen.
Ich bewunderte sie: Keiner zögerte, keiner strauchelte, keiner fiel ins Wasser.
Bei diesem Anblick lief mir jedes Mal ein kalter Schauer über den Rücken.

An einem Sonnabendmorgen wurde ich von den Einwohnern des Dorfes eingeladen, auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses eine Schule zu besichtigen. Man ruderte mich mit einem Kahn hinüber. Nach der Besichtigung war keine Spur mehr von dem Boot zu sehen. Die einzige Möglichkeit, auf die andere Seite zurück zu kommen, war der Weg über die Brücke. Nein, keine zehn Pferde kriegten mich da rüber!
Keine Bambusbrücke dieser Welt würde ich freiwillig betreten.
Am anderen Ufer sah ich Frauen ihre Wäsche waschen. Manche standen fast in der Mitte des Flusses. Ob man durch den Fluss waten konnte? Immer noch besser, als über diese spaghettidünne Brücke zu balancieren und in einen Strudel zu fallen. Zum Gespött der Leute. Man riet mir dringend davon ab, weil in der Mitte des Flusses ein Geist wohnte. Der packt jeden, der sich ihm nähert und zieht ihn mit sich in die Tiefe.
Ich lief los und wurde immer mutiger. Von beiden Ufern schauten mir die Dorfbewohner mit unverständlichen Blicken zu.
In der Mitte des Flusses verlor ich eine Sandale. Als ich nach ihr greifen wollte, verlor ich das Gleichgewicht. Ich geriet in einen Strudel und wurde mitgerissen. Als mein Kopf kurz aus dem Wasser auftauchte und ich wieder zu denken begann, versuchte ich mich ganz flach zu legen und ließ mich erst mal treiben. Mir erschien es wie eine Ewigkeit, bis ich ans gegenüberliegende Ufer gespült wurde. Ich hatte mich zwei Kilometer weit vom Dorf entfernt.

Als ich dort wieder ankam, Kopf und Schultern mit Algen bedeckt, vermuteten die Einheimischen, dass die Götter mit einer Ausländerin noch einmal Nachsicht gehabt hätten.
 

30.09.2005
Martina Sylvia Khamphasith